Keynote von Steffi Lemke beim CDU-Jubiläums-Wirtschaftstag 2023: "Weniger Emissionen durch mehr Klima- und Ressourcenschutz"

23.05.2023
Bundesministerin Steffi Lemke
Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Wirtschaftsrats der CDU e. V. eine Rede zum Thema "Weniger Emissionen durch mehr Klima- und Ressourcenschutz" gehalten.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Hamker,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

"60 Jahre Wirtschaftsrat der CDU" sind ein stolzes und respektables Jubiläum. Der Wirtschaftsrat hat in dieser Zeit große Veränderungen in Deutschland und Europa nicht nur miterlebt, sondern auch mitgestaltet und mitgeprägt. Er hat in all den Jahren insbesondere versucht, mit wirtschaftspolitischen Konzepten und Sachverstand die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland weiterzuentwickeln. Eine Soziale Marktwirtschaft, deren Leistungsfähigkeit und Wohlstand uns viele Jahrzehnte gut getragen hat.

Auf diesen Beitrag können Sie stolz sein und haben wirklich Grund zum Feiern. Ich gratuliere Ihnen und freue mich über Ihre Einladung und die Möglichkeit, heute hier über die aktuellen Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Arbeit und Wertschöpfung sind – heute wie vor 60 Jahren – die Voraussetzungen für Wohlstand und Verteilungsmöglichkeiten. Aber sie sind nicht die einzigen Voraussetzungen. Dazu zählt auch eine gesunde Natur, deren Funktionen und Leistungen wir nicht nur wie selbstverständlich in Anspruch nehmen, sondern auf die wir alle existenziell angewiesen sind.

Diese Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklungen und Perspektiven ist in Gefahr – durch die Klimakrise, durch das Artenaussterben und durch die Folgen der Verschmutzungskrise. Unser Wohlstand ist bereits jetzt gefährdet durch die Auswirkungen dieser Krisen, zum Beispiel durch Dürreschäden, Hochwasserkatastrophen und die damit verbundenen Lieferkettenprobleme. Wenn es nicht gelingt, das Artenaussterben zu stoppen, werden uns die allermeisten Leistungen der Ökosysteme Stück für Stück nicht mehr zur Verfügung stehen – wie etwa fruchtbare Böden, saubere Luft, frisches Wasser oder die Bestäubung durch Insekten. Die Basis vieler Wertschöpfungsketten und damit auch des Lebens, wie wir es gewohnt sind, stehen auf dem Spiel. Und das sagt nicht nur die Bundesumweltministerin. Das ist eine Warnung aus dem aktuellen Weltrisikobericht des Weltwirtschaftsforums.

Ich möchte mit Ihnen heute aber nicht nur über Probleme, sondern vor allem über Lösungen sprechen. Ziele gibt es inzwischen genug, um diese Trends zu brechen. Am prominentesten ist das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015. Von der damaligen Bundesregierung unter Angela Merkel mitverhandelt und zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Leider folgte auf diese Verpflichtung kein wirklicher Turnaround in den konkreten Maßnahmen. Die Verkehrswende, die Wärmewende oder auch die Ausbildung von den so dringend benötigten Fachkräften der Transformation – alles das hätte im letzten Jahrzehnt noch sehr viel konsequenter verfolgt werden müssen. Dann hätten wir heute manche Sorgen weniger.

Es mangelt nicht an Zielen, sondern bislang zu oft an der konkreten und konsequenten Umsetzung. Unsere nordeuropäischen Nachbarn haben das anders gemacht und stehen bei der Energiewende entsprechend besser da. Deutschland muss die verlorene Zeit schnell aufholen, um das Pariser Klimaschutzabkommen – und damit den Erhalt unserer Lebens- und Wohlstandsgrundlagen – einzuhalten.

Die OECD hat Deutschland diese unerledigten Hausaufgaben in der Energie-, Verkehrs- und Finanzpolitik noch einmal unmissverständlich ins Stammbuch geschrieben. Und Sie wissen, dass die OECD nicht gerade als Vorfeldorganisation der Grünen gilt.

Über die Transformation im Energiesektor ist in den vergangenen Jahren schon viel diskutiert worden. Die Energiewende hat jetzt neuen Schwung bekommen, indem die Bundesregierung viele Lösungen ermöglicht beim Ausbau von Wind- und Solarenergie.

Es reicht aber absolut nicht, nur den Energiesektor zu transformieren. Der verantwortungsvolle Umgang mit Rohstoffen ist genauso wichtig. Nach Berechnungen des Weltressourcenrats International Ressource Panel gehen

  • mindestens die Hälfte aller Treibhausgasemissionen,
  • etwa 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes
  • und die globalen Wasserprobleme

auf die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen – also von fossilen Brennstoffen, Biomasse, Erzen und Mineralen – zurück.

Die Kreislaufwirtschaft ist ein Schlüssel dafür, wie Emissionen eingespart und Ressourcen geschont werden können. Klaus Töpfer hat als einer meiner Vorgänger als Bundesumweltminister in der 1980er Jahren angefangen, die Ideen der Kreislaufwirtschaft in Deutschland politisch voranzubringen. Er gilt heute zu Recht als einer der "Väter der Kreislaufwirtschaft". Beim Circular Valley Forum im vergangenen Herbst hat er die aktuellen Herausforderungen beschrieben: "Rohstoffe begrenzen den Ausbau der erneuerbaren Energien leider auf natürliche Weise. Wir werden deshalb viel mehr in Kreisläufen denken und arbeiten müssen, wenn wir den Klimaschutz richtig voranbringen wollen."

Deshalb entwickeln wir eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Sie soll den Weg zu einer im umfassenden Sinne nachhaltigen, zirkulären Wirtschaft beschreiben und ebnen. Damit werden wir den großen Herausforderungen unserer Zeit gerecht.

Wir tragen in Deutschland eine besondere Verantwortung, denn unser Rohstoffkonsum pro Kopf liegt deutlich über dem globalen Durchschnitt. Der Rohstoffbedarf lässt sich durch zirkuläres Wirtschaften erheblich reduzieren – und mit ihm die negativen Klima- und Umweltauswirkungen.

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, weniger Primärrohstoffe zu verbrauchen – also weniger Rohstoffe neu in den Wirtschaftskreislauf zu bringen. Als Ersatz müssen Rohstoffe, die bereits im Kreislauf sind, als Sekundärrohstoffe ein zweites, drittes und viertes Leben bekommen. Das bedeutet: Es ist unsere Verantwortung, durch zirkuläre Wirtschaft und Ressourcenschonung für Klimaneutralität zu sorgen.

Und auch weltweit gibt es wichtige Schritte in die richtige Richtung: Ich war im April beim Treffen der G7-Umweltministerinnen und Umweltminister in Japan. Dort haben wir unter anderem beschlossen, die Umweltverschmutzung durch Plastikmüll bis spätestens 2040 zu beenden.

Es gibt mittlerweile viele, die sich für Kreislaufwirtschaft engagieren, gerade auch in den Wirtschaftsverbänden. Sie haben verstanden, dass zirkuläres Wirtschaften mehr ist als Recycling. Für die Unternehmen wird das Thema zunehmend zu einer Frage der Wettbewerbsfähigkeit oder sogar des wirtschaftlichen Überlebens. Die Rohstoffpreise sind hoch. Gestörte Lieferketten führen zu Rohstoffknappheit, unsicherer Versorgung und preislichen Verwerfungen. Eine zirkuläre Wirtschaft, die verstärkt Sekundärrohstoffe nutzt, kann deshalb wesentlich zur Resilienz deutscher Unternehmen beitragen. Sie macht Deutschland unabhängiger von Rohstoffimporten und damit krisenfester.

Führende Unternehmen haben mit der Entwicklung neuer Recyclingtechnologien für kritische Rohstoffe begonnen – etwa für Nickel, Lithium, Phosphor und Kobalt. Das Ziel ist, den Einsatz von Sekundärrohstoffen deutlich zu steigern. Derzeit haben sekundäre Rohstoffe teilweise noch andere Produkteigenschaften als Primärrohstoffe. In einigen Bereichen gibt es noch Qualitätsunterschiede. Auch deshalb liegt der Anteil von Sekundärrohstoffen an allen eingesetzten Rohstoffen in Deutschland nur bei etwa 13 Prozent. Dieser Anteil soll deutlich steigen. Dafür werden gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen für die Herstellung von Rezyklaten gebraucht – also ein "Level playing field". Dazu will ich einen geeigneten rechtlichen Rahmen schaffen und ökonomische Anreize setzen.

Die Unternehmen werden ihre Strategien, Geschäftsmodelle und Kostenkalkulationen dementsprechend umstellen. Ich will die Industrie und insbesondere den industriellen Mittelstand auf dem Weg in die umfassende Kreislaufwirtschaft unterstützen:

  • durch die Beseitigung unnötiger regulatorischer Hemmnisse
  • durch Förderung von Forschung und Entwicklung für Innovationen
  • durch Beratungsangebote zu ressourceneffizienter Produktion
  • und durch Weiterentwicklung von Normen und Standards.

Die Nationale Kreislaufstrategie wird dazu beitragen, zirkuläres Wirtschaften zu einem Standortvorteil zu machen. Damit stärkt sie die Wettbewerbsfähigkeit und hilft gleichzeitig, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.

Durch die Klimakrise verändern sich Lebensbedingungen schneller, als sich die Natur anpassen kann. Umgekehrt setzen geschädigte Wälder oder Moore innerhalb kurzer Zeit große Mengen Kohlenstoff frei, den sie zuvor über Jahrtausende gebunden haben. Klimakrise und Artenaussterben verstärken sich gegenseitig.

Deswegen hat mein Ministerium das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz entwickelt. Wir stärken damit die Natur, damit sie uns besser schützen kann.

  • Wenn wir die Natur stärken und wo nötig wiederherstellen, dann ist das ein aktiver Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise.
  • Eine gesunde Natur ist Lebensraum für viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten.
  • Nicht zuletzt treffen wir damit Vorsorge für die Folgen der Klimakrise, wie Hitzewellen und Dürren auf der einen, Starkregen und Überflutungen auf der anderen Seite. Die Extremwetterereignisse der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass wir einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Wasser brauchen. Das bedeutet, Wasser in der Landschaft zu halten und sparsam zu nutzen, statt es in Kanälen möglichst schnell abzuleiten.

Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) ist von der OECD übrigens ausdrücklich gelobt worden. Mit dem ANK investieren wir in den nächsten Jahren vier Milliarden Euro in den Schutz, die Stärkung und die Wiederherstellung von Natur. Bei der Umsetzung wird es sicher auch Diskussionen geben. Ich würde mir wünschen, dass der Wirtschaftsrat das ANK unterstützt, weil es die Lebensgrundlagen und auch die Grundlagen unserer Wirtschaft sichern hilft.

Wenn ich hier beim Wirtschaftsrat für diese Positionen werbe, dann weiß ich aus Erfahrung, dass Sie das nicht immer ungeteilt unterstützen.

Als Wirtschaftsrat haben Sie sich stets auch für die Nutzung der Atomenergie zur Stromerzeugung eingesetzt. Bei dieser Hochrisiko-Technologie wurde – im Gegensatz zur Elektromobilität oder zur Wärmepumpe – jedoch nie die Forderung gestellt, dass erst alle zentralen Probleme gelöst sein müssten, bevor man mit dem Aufbau der Atomkraftwerke beginnen könne. Mit den Herausforderungen im Bereich der Sicherheit und Entsorgung betrifft das bei der Atomenergie allerdings sehr existentielle Fragen.

Drei Generationen Strom, eine Million Jahre strahlende Hinterlassenschaft. Das war es wirklich nicht wert. Es bleibt die bittere Realität, dass diese Fragen bisher nicht geklärt und damit nachfolgenden Generationen hinterlassen worden sind.

Das Beharren auf Technologien, die uns allen nachhaltig erheblichen Risiken aussetzen und künftige Generationen in ihren Chancen und Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigen, darf sich im Angesicht von Klimakrise und Artenaussterben nicht wiederholen. Unsere Generation hat jetzt sehr lange auf Kosten der Zukunft konsumiert und gewirtschaftet. Es ist deshalb auch unsere Verantwortung, den Wandel und die Transformation zu vollziehen. Wir sind bereits sehr spät dran.

Ich möchte Sie als Wirtschaftsrat herzlich einladen, sich an den Lösungen weiter aktiv zu beteiligen. Bringen Sie Ihre marktwirtschaftlichen Konzepte und Ihren Sachverstand ein, damit wir gemeinsam die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens und den Stopp des Artenaussterbens noch erreichen. Das wäre ein wertvoller Dienst am Wirtschaftsstandort Deutschland und es wäre das größte Geschenk, das wir unseren Kindern und Enkeln in dieser von großen Unsicherheiten und Zukunftssorgen geprägten Zeit machen können.

Vielen Dank!

Informationen

Natürlicher Klimaschutz

Natur stärken – Klima schützen

23.05.2023 | Rede Wirtschaft
https://www.bmuv.de/RE10614
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