Wissenschaftliche und juristische Einordnung der aktuellen Debatte über Luftschadstoffe und Grenzwerte

28.01.2019
Grenzwerte sind eine gesellschaftliche Garantie für saubere Luft. Sie schützen die Gesundheit aller Menschen. In der EU werden Grenzwerte wie die für Stickoxide regelmäßig überprüft, so wie aktuell durch den "Fitness-Check".

Statement von Bundesumweltministerin Svenja Schulze bei der Bundespressekonferenz:

Seit vergangener Woche erleben wir eine neue Debatte über den Sinn der europäischen Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub. Ausgelöst haben die Debatte mehrere Fachärzte und Ingenieure, die die wissenschaftliche Basis jener Grenzwerte anzweifeln. Ich möchte es gleich zu Anfang sagen: Diese Debatte trägt nicht zur Versachlichung bei. Im Gegenteil. In den letzten Tagen wurden viele Fakten verdreht und die Menschen erneut verunsichert. Verunsicherung kann und darf aber niemals die Aufgabe verantwortlicher Politiker und Politikerinnen sein.

Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Wenn Fachleute, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Zweifel an Studien und deren Schlussfolgerungen hegen, dann sollen, ja dann müssen sie das auch hörbar äußern und die Debatte führen. Wissenschaft lebt von Argument und Gegenargument, von freiem Denken und interdisziplinärem Diskurs. Wissenschaft lebt aber auch von Fakten und Beweisgrundlagen. Das Ziel sollte immer sein: möglichst weitgehende Aufklärung.

Genau das kommt aktuell zu kurz. Deshalb möchte ich heute die Zusammenhänge rund um die Europäische Luftreinhaltung, die Grenzwerte und ihre medizinische Begründung erläutern und wo nötig richtig stellen – gemeinsam mit der Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger, mit dem Pneumologen Professor Christian Witt von der Charité Berlin und mit Professor Christian Calliess als Umweltjuristen und Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen. Schön dass Sie da sind!

Wenn in den vergangenen Tagen immer wieder darauf verwiesen wurde, dass die Luft in Deutschland doch besser geworden sei, dann stimmt das! Was dabei leicht vergessen wird: Sie sind gerade auch durch die europaweit geltenden Grenzwerte besser geworden!

Diese Grenzwerte sind eine gesellschaftliche Garantie für saubere Luft. Sie schützen die Gesundheit aller Menschen, speziell Menschen mit empfindlichen Atemwegen, Allergien oder Herzproblemen. Sie beugen damit Erkrankungen vor. Diese Vorsorge ist eine wichtige Errungenschaft unseres Rechtsstaates und unseres Gemeinwesens und ich sehe überhaupt keinen Anlass, diese abzuschwächen.

Die Grenzwerte sparen außerdem erhebliche Kosten im Gesundheitssystem, schützen unsere natürlichen Lebensgrundlagen und setzen für die Wirtschaft und für den Verkehr klare Rahmenbedingungen. Und nicht zuletzt sind Grenzwerte eine Frage der Gerechtigkeit. Denn an Straßen mit der schlechten Luft wohnen oft Bürgerinnen und Bürger mit geringerem Einkommen. Auch die haben auch ein Recht auf saubere Luft!

Wenn jetzt eine bestimmte Gruppe von Lungenärzten dazu aufruft, diese Grenzwerte sollen laxer werden, dann antworte ich: Die übergroße Mehrheit der Lungenärzte und Gesundheitswissenschaftler sieht das keineswegs so.

Es gibt einen breiten wissenschaftlichen Konsens über die derzeitigen Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub. Das wird auch in anderen Ländern so gesehen. In einigen Ländern zieht die Politik noch schärfere Schlussfolgerungen daraus. Die Schweiz etwa hat schärfere Stickoxid-Jahresmittelgrenzwerte als die EU (30 Mikrogramm/40 Mikrogramm) und die USA haben doppelt so strenge Feinstaubgrenzwerte wie wir (12,5 Mikrogramm / 25 Mikrogramm bei PM 2,5 – das ist der gefährlichste kleinste Feinstaub, der bis in die Lunge eindringen kann ).

Grenzwerte wie die für Stickoxide und Feinstaub werden in der EU regelmäßig überprüft. Zuletzt wurden die Luft-Grenzwerte 2013 in einem Verfahren der Weltgesundheitsorganisation mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeglichen. Aktuell führt die EU wieder einen so genannten "Fitness-Check" für die Europäische Luftreinhalte-Richtlinie durch – ein Verfahren, das die Ausrichtung und Wirkung von EU-Richtlinien überprüft. Dabei werden auch die Grenzwerte einbezogen. Im Moment gibt es also keinen Anlass, zusätzliche Moratorien oder Überprüfungen zu fordern.

Was immer vergessen wird, die große Anzahl der deutschen Städte (249 von 314) hält die derzeitigen Grenzwerte ein. So gut wie alle Städte hielten 2017 die Feinstaubgrenzwerte ein. Nur da, wo Menschen mit viel Verkehr leben müssen, haben wir Probleme mit Stickoxiden. Zugleich gibt es gegen Deutschland und acht weitere Ländern der EU seit 2014 ein Vertragsverletzungsverfahren, weil mehrere Städte die Grenzwerte nicht einhalten können.

Das liegt vor allem an den Verfehlungen der Autobranche beim Diesel. Viele Diesel-PKW stoßen seit Jahren erheblich mehr Stickoxide aus als angenommen und als auf dem Prüfstand gemessen wurde. Dies hat einige Kommunen an den Rand ihrer Lösungsmöglichkeiten gebracht und einige Gerichte haben Fahrverbote verhängt. Um es klar zu sagen: Ich will nach wie vor keine Fahrverbote. Fahrverbote sind ungerecht, sie bestrafen alle, die einen Diesel fahren, sie führen zum Wertverlust der Fahrzeuge und in den Kommunen schaffen sie Probleme und Unmut.

Aber die Lösung ist nicht, dass wir unseren Anspruch auf saubere Luft aufgeben. Die Lösung ist, dass die Autos sauberer werden und die Alternativen zum Auto attraktiver. Die Bundesregierung hat mehrere Lösungen auf den Weg gebracht: Software-Updates, das Sofortprogramm für Saubere Luft und vor allem Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Autoindustrie. Hierfür sind jetzt alle rechtlichen Voraussetzungen da. Die Nachrüster arbeiten an der Entwicklung. Nun sind die Autohersteller am Zug. Ich erwarte, dass sie endlich aktiv werden!

Wenn wir die Diesel-PKW, Busse und Transporter jetzt zügig nachrüsten, dann sinkt ihr Stickoxid-Ausstoß und die Luft wird besser. Die Dieselhalter müssen dann auch kein neues Auto kaufen. Ich kann daher nur noch einmal alle deutschen Autohersteller auffordern, es Daimler-Benz gleich zu tun, die Diesel-PKW-Nachrüstung zu unterstützen. Da muss der Bundesverkehrsminister den Druck erhöhen und Überzeugungsarbeit leisten. Das verhindert Fahrverbote. Scheindebatten um Grenzwerte, die die Menschen verunsichern und für dumm verkaufen, tun das sicher nicht.

28.01.2019 | Meldung Luft

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