Internationales Chemikalienmanagement

Viele Länderfahnen im Wind

Der zweite Global Chemicals Outlook hat festgestellt, dass die weltweite Produktion von Chemikalien sich im Vergleich zu 2017 weltweit verdoppeln wird. Gleichzeitig gelangen jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen Chemikalien in die Umwelt. Dies geschieht an verschiedenen Stellen in der Wertschöpfungskette, von der Gewinnung des Rohmaterials über die Produktion und Weiterverarbeitung bis hin zu Konsum und Entsorgung. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat der nicht verantwortungsvolle Umgang von Chemikalien weltweit allein im Jahr 2016 zu mindestens 1,6 Millionen Todesfällen und 45 Millionen aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen verlorener Lebensjahre geführt. Im Jahr 2015 starben fast 1 Million Arbeiterinnen und Arbeiter an den Folgen der Exposition mit gefährlichen Chemikalien. Die tatsächlichen Zahlen liegen vermutlich höher, denn die hier genannten berücksichtigen nur die Fallzahlen für wenige, ausgewählte Chemikalien, für die ein solcher Kausalzusammenhang nachgewiesen werden kann. Insbesondere arme Menschen sind überproportional stark von Chemikalienverschmutzung und deren Folgen betroffen.

Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (VN) im Jahre 2002 in Johannesburg wurde vereinbart, dass bis 2020 Chemikalien so produziert und eingesetzt werden sollen, dass signifikante negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt minimiert werden (2020-Chemikalien-Ziel). Aus diesem Grund arbeitet die Bundesregierung fortwährend auf multilateraler Ebene auf ein weltweites, nachhaltiges Chemikalienmanagement und die Verbesserung des Informationsaustausches und Kapazitätsaufbaus auch in Entwicklungs- und Schwellenländern hin. 

Um die internationale Zusammenarbeit zu übergreifenden Themen der Chemikaliensicherheit unter dem Dach der Vereinten Nationen zu ermöglichen hat im Jahre 2006 die erste internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement in Dubai den Strategischen Ansatz zum internationalen Chemikalienmanagement (englisch "Strategic Approach to International Chemicals Management, SAICM") beschlossen. SAICM ist ein völkerrechtlich nicht verbindliches, Sektoren- und Stakeholder-übergreifendes politisches Rahmenwerk zum Chemikalienmanagement. Es komplettiert die völkerrechtlich verbindlichen Abkommen im Chemikalien- und Abfallbereich, namentlich die Übereinkommen von Rotterdam, Stockholm und Minamata sowie das Montrealer Protokoll, die zusammen eine vergleichsweise kleine Zahl von Substanzen regulieren, und das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung. SAICM schließt die durch die verbindlichen Übereinkommen verbliebenen Regelungslücken und zielt zu diesem Zweck auf zwei Kernelemente: die weltweite Etablierung staatlich institutionalisierter Chemikalienkontrollsysteme und den verantwortungsvollen Umgang mit besorgniserregenden, international nicht verbindlich geregelten Themen wie z.B. Arzneimittel in der Umwelt, Einsatz gefährlicher Pestizide in der Landwirtschaft oder Umgang mit Elektroschrott. Das Ziel dieses freiwilligen Programmes ist es, die negativen Auswirkungen von Chemikalien auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu minimieren.

Das SAICM Sekretariat ist bei dem United Nations Environment Programme (UNEP, deutsch: Umweltprogramm der Vereinten Nationen) angesiedelt, das eng mit der World Health Organization (WHO, deutsch: Weltgesundheitsorganisation) und weiteren VN Organisationen zusammenarbeitet, die in dem Inter-Organization Programme for the Sound Management of Chemicals (IOMC, deutsch: Organisationsübergreifendes Programm für ein nachhaltiges Wirtschaften mit Chemikalien) zusammengeschlossen sind.

Auf dem VN-Gipfel zu nachhaltiger Entwicklung 2015 in New York wurde das 2020-Ziel in erweiterter Form als Target 12.4 in die Sustainable Development Goals der Agenda 2030 aufgenommen. Dort heißt es nun, dass bis 2020 ein umweltverträglicher Umgang mit Chemikalien während ihres gesamten Lebenszyklus und allen Abfällen in Übereinstimmung mit den vereinbarten internationalen Rahmenregelungen erreicht und ihre Freisetzung in Luft, Wasser und Boden erheblich verringert werden soll, um ihre nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Mit der Agenda 2030 haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 17 globale Ziele (Sustainable Development Goals, kurz SDG) festgelegt und in deren 169 Unterzielen den Weg für eine nachhaltige Entwicklung im Einklang mit den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen bereitet. Der umfassende Schutz der menschlichen Gesundheit vor schädlichen Umwelteinflüssen ist ein Schwerpunkt in mehreren Zielen. Kaum ein Nachhaltigkeitsziel für die Umsetzung der Agenda 2030 lässt sich ohne ein verantwortungsvolles Chemikalien- und Abfallmanagement erreichen. Die Bedeutung von SAICM zur Umsetzung der Agenda 2030 wird besonders deutlich im Ziel 3.9. Bis zum Jahre 2030 sollen die Zahl der Todesfälle und Erkrankungen aufgrund gefährlicher Chemikalien und der Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden erheblich verringert werden.

Der notwendige Schutz ist nur möglich, wenn in allen Ländern Regelungen für einen sicheren Umgang mit Chemikalien getroffen, umgesetzt und in ausreichendem Maße kontrolliert werden. Aus diesem Grund wird ein im Chemikaliensektor weltweites, vollständig abdeckendes Sicherheitssystem benötigt. Das weltweit sicherzustellen, ist die Aufgabe von SAICM.

Internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement (ICCM)

Die Steuerung und Überwachung des SAICM-Prozesses erfolgt durch die Internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement (ICCM). ICCM ist als Beschlussfassungsorgan der Entscheidungsträger für die Zusammenarbeit aller relevanten Stakeholder und Sektoren zu übergreifenden Fragen der internationalen Chemikaliensicherheit und ist vergleichbar mit der Vertragsstaatenkonferenz anderer internationaler Umweltabkommen. Auch wenn es ein freiwilliges Instrument ist, beteiligt sich die überwiegende Zahl der VN–Staaten an den Ver-handlungen dieses Rahmenwerkes für Chemikalien. Zur Unterstützung der praktischen Um-setzung des Strategischen Ansatzes wurde bei UN Environment in Genf das SAICM-Sekretariat eingerichtet

SAICM beyond 2020

Bis zum Zieljahr 2020 wurden die SAICM-Ziele nicht erreicht. Das hat der Global Chemicals Outlook II des VN-Umweltprogramms (UNEP) im April 2019 ausdrücklich bestätigt. Das Mandat von SAICM lief zum Ende des Jahres 2020 aus und die Entscheidung über die Zukunft des internationalen Chemikalien- und Abfallmanagements nach 2020 wird durch die Fünfte Weltchemikalienkonferenz (Internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement ICCM5) getroffen. Deutschland ist Gastgeberland und hat den Vorsitz dieser nächsten Konferenz, bei der Delegierte aus Politik, internationalen wie nationalen Organisationen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen über die künftige Chemikalienpolitik verhandeln und entscheiden werden.

Es ist die vorerst letzte Gelegenheit, den Rahmen für das internationale Chemikalienmanagement so zu verändern, dass die Ziele der Agenda 2030 erreicht werden. Der 5. Weltchemikalienkonferenz vorgelagert ist ein Verhandlungsprozess, der Intersessional Process (IP), der über die mögliche Ausgestaltung des internationalen Chemikalienmanagements nach 2020 berät.

Kern des Intersessional Process sind eine formelle und vier informelle Verhandlungsrunden (IP1-IP4), in deren Rahmen auch regionale Sitzungen stattfinden, bei denen sich die verschiedenen VN Regionen sowie die an SAICM mitwirkenden Sektoren und Stakeholder Gruppen untereinander abstimmen.

Die pandemiebedingt waren auch die Verhandlungen über internationales Chemikalien- und Abfallmanagement sind von Verschiebungen betroffen. Aufgrund er zwischenzeitlich unsicheren Lage hatte die Bundesregierung entschieden, die ursprünglich für Oktober 2020 in Bonn geplante 5. Weltchemikalienkonferenz zu verschieben. Sie findet nunmehr vom 25. bis 29. September 2023 im Weltkonferenzzentrum in Bonn statt. Die durch die Verschiebung der ICCM5 gewonnene Zeit wurde durch virtuelle Formate genutzt, um den Dialog aufrecht zu erhalten und die Verhandlungen über die internationale Chemikalienpolitik nach 2020 weiter voranzubringen.

Covid-19-Pandemie

Die andauernde COVID-19-Pandemie führt zu großen Herausforderungen in der internationalen Zusammenarbeit. Auch die Verhandlungen über internationales Chemikalien- und Abfallmanagement sind davon betroffen. Aufgrund der anhaltenden COVID-19-Pandemie und ihrer unsicheren mittel- und langfristigen Entwicklung hat die Bundesregierung entschieden, die ursprünglich vom 5. bis zum 9. Oktober 2020 in Bonn geplante ICCM5 auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Das für März 2020 in Bukarest geplante vierte IP-Treffen (IP4) wurde auch abgesagt; ein neuer Termin muss noch bestimmt werden.

ICCM5-Präsidentin Gertrud Sahler vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sagte dazu: "Zurzeit bestimmen Aktivitäten gegen die COVID-19-Pandemie und zum Schutz der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger die politische Agenda auf nationaler und internationaler Ebene. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir andere drängende globale Herausforderungen vernachlässigen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, deren Gesundheit durch Belastung mit Schadstoffen bereits geschwächt ist, auch ein erhöhtes Risiko im Falle einer Infektion mit COVID-19 tragen, ist groß. Wir sind deshalb mehr denn je gefordert, weltweit die Voraussetzungen für einen sicheren Umgang mit Chemikalien und Abfällen zu schaffen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sterben jährlich fast 1,6 Millionen Menschen an Verschmutzungen durch Chemikalien, weil sie gefährlichen Chemikalien ausgesetzt sind. Täglich sind das etwa 4.300 Menschen. Unsere bisherigen gemeinsamen Anstrengungen waren nicht erfolgreich genug, um diese Zahl zu verringern. Wir werden hart daran arbeiten, den laufenden Verhandlungsprozess zum Erfolg zu führen und eine Einigung über einen ambitionierten Rahmen zu erzielen, der auf dem einzigartigen SAICM-Multi-Stakeholder-Ansatz und der bisherigen guten Arbeit aufbaut."

Die durch die Verschiebung der ICCM5 gewonnene Zeit soll genutzt werden, um die Verhandlungen über die internationale Chemikalienpolitik nach 2020 weiter voranzubringen. Zu diesem Zweck erarbeiteten das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment) und das SAICM-Sekretariat in Zusammenarbeit mit dem Bureau von ICCM5 anstelle des formalen Verhandlungsprozesses virtuelle Formate, um den Dialog aufrechtzuerhalten, um den Meinungsaustausch zu fast allen für eine Beschlussfassung durch ICCM5 relevanten Themen zu ermöglichen und um zwischenzeitlich weitere Fortschritte zu erzielen.

Stand: 24.02.2023

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