Etwas für die Zukunft tun und pflanzen

Die Baumpflanzaktionen aus Schwerin

Ende der 1970er Jahre ist es weit über die betroffenen Regionen hinaus bekannt: das Baumsterben im Erzgebirge. Im fernen Schwerin wollen drei Jugendliche, die sich aus der evangelischen Jugendarbeit kennen, dem mit praktischer Umweltarbeit etwas entgegensetzen. 1978 entwickeln Jörn Mothes, Nikolaus Voss und Olaf Naasner den Plan einer Baumpflanzaktion. Ein Jahr später setzten sie ihn in die Tat um.

Über 50 Jugendliche aus allen Teilen der DDR kommen 1979 nach Schwerin, um rund 5.000 Bäume und Sträucher entlang einer Straßenbahnlinie zu pflanzen. Eingebettet wird die Aktion in ein Umweltwochenende mit Vortrag, Pflanztag und Gottesdienst. Den Pflanzungen im Herbst folgt ein Umweltseminar im Winter, für die DDR das erste dieser Art. Mit Diskussionen, Vorträgen und naturkundlichen Exkursionen bietet es Raum zum Lernen und Vernetzen. Das Format halten die Akteurinnen und Akteure auch in den kommenden Jahren bei. Sie schaffen damit ein wichtiges Forum der DDR-Umweltbewegung der frühen Achtziger Jahre.

Wegen des Ansatzes, "den Stillstand zu überwinden, indem man etwas Positives macht", zählt Christian Halbrock, Mitbegründer der Umweltbibliothek in Berlin, die Baumpflanzinitiative der Schweriner zu den erinnerungswürdigsten Aktionen der DDR-Umweltbewegung.

Subbotnik

Der Begriff ist dem Russischen - Subbota / Samstag - entlehnt und bezeichnete in der Sowjetunion und später auch in der DDR einen unbezahlten kollektiven Arbeitseinsatz zugunsten des Allgemeinwohls am Samstag. Offiziell handelte es sich um eine freiwillige Beteiligung, realiter aber konnte sich eine Teilnahme bei der Vergabe von Wohnungen oder Stellen positiv auswirken.

"Wir waren sehr sichtbar und sehr fröhlich"

"Bäume pflanzen ist eine relativ einfache, aber wirkungsvolle und vor allem auch psychologisch gute Angelegenheit", fasst Jörn Mothes die Motivation für die Schweriner Baumpflanzaktionen zusammen. Nachdem der Plan steht, finden sich auch die Bäume schnell: Olaf Naasner ist Gartenbaulehrlinge, der Direktor seines Betriebs den jungen Menschen und ihrer Idee wohlgesonnen. Die Jugendlichen organisieren ihre Baumpflanzungen als Beitrag zum Subbotnik, dies ermöglicht ihnen als Gruppe das Agieren im öffentlichen Raum. Zudem greifen sie auf eine bekannte Praxis im Umweltschutz zurück: Bäume pflanzen. Wer kann also etwas gegen ihre Aktion zum Wohle der Allgemeinheit sagen? Unter den ersten Pflanzerinnen und Pflanzern finden sich Schulkameradinnen und Schulkameraden der Initiatoren und Jugendliche aus nicht-kirchlichen Kreisen.

"Das war eine spannende Sache für uns, dass wir so eine Öffnung hinbekommen haben." Drei Jahre können sie ihre Pflanzungen so durchführen, dann geraten sie in den Fokus der Staatssicherheit. "Wir hatten nicht übersehen, was die Westmedien für Folgen hatten". Denn nicht zuletzt durch einen Artikel im Spiegel über die kirchliche Umweltbewegung in der DDR ist nicht mehr zu leugnen, dass es für die Akteurinnen und Akteure nicht nur um Bäume geht, sondern um die gesamte Umweltsituation der DDR – und dass sie mit ihrem Anliegen die Öffentlichkeit suchen. Dem Betriebsdirektor untersagen die Behörden sofort, die Aktion weiter durchzuführen, werfen ihm Unterstützung "feindlich-negativer Kräfte" vor. Für einige der Jugendliche werden Vorgänge bei der Stasi eröffnet. Doch die Umweltakteurinnen und Umweltakteure pflanzen weiter – an anderen Orten, auf Kirchenland oder mit Revierförstern, die sie bei Pflanzungen integrieren. Auch die Seminare im Winter finden weiterhin statt. Aus ökologischer Sicht könne man manche Aufforstung auch kritisch sehen, so Jörn Mothes, damals aber sind die Pflanzaktionen ein wichtiger Impuls: "Das ist dann zu so einer richtigen Bewegung geworden."

"Wir waren unglaublich viel unterwegs"

Die Schweriner Umweltakteurinnen und Umweltakteure beschränken sich mit ihren Aktionen nicht auf Pflanzungen. Als sie darauf aufmerksam werden, dass eine Autobahn von Schwerin nach Wismar durch ein Schutzgebiet gebaut werden soll, dokumentieren sie die Bauarbeiten und organisieren Protest. In den Stasi-Akten sei von 600 Eingaben allein in einem Monat die Rede, so Jörn Mothes. Die Gruppe lädt zu Radsternfahrten. Kleinere gelingen, eine größere unterbindet die Staatssicherheit:

Sie lässt am geplanten Aktionstag die Gepäckanhänger von den Zügen nach Schwerin abkoppeln und kappt damit die Möglichkeit, mit dem Rad anzureisen. Jörn Mothes selbst wird "zugeführt", damit er die Veranstaltung absagt. Die Bauarbeiten kommen dennoch zum Stillstand – zumindest bis 1990. Für Jörn Mothes auch ein Erfolg der Proteste.

Zuführung

Die Zuführung von Personen galt der Feststellung von Personalien sowie "zur Klärung eines Sachverhaltes". Zugeführte Personen durften nicht länger als 24 Stunden festgehalten werden. Im härtesten – und mit Blick auf die Umweltbewegung eher seltenen – Fall konnte es zur Inhaftierung kommen. Die Staatsicherheitsbehörde setzte Zuführungen aber auch taktisch ein, zur Einschüchterung oder zum Ausüben von Druck, um Menschen zur informellen Mitarbeit zu bewegen.

Ein wichtiger Informationsknotenpunkt für die Akteurinnen und Akteure ist ab Mitte der 1980er Jahre die Berliner Umweltbibliothek. Ein Stopp bei ihr gehört, so Jörn Mothes, zu jeder Fahrt durch die DDR. Die Umweltakteurinnen und Umweltakteure dort gelten als besonders politisch und aktionsaffin. Doch die Schweriner seien durchaus selbstbewusst aufgetreten, "in dem Sinne, dass wir gesagt haben, wir sind die 'wahren' Naturschützer, weil wir gehen auch noch ornithologisieren und botanisieren". Manche der Rivalitäten, so erfährt er später aus Stasi-Unterlagen, schürt das Ministerium für Staatsicherheit gezielt, um die Bewegung zu schwächen.

Die Schweriner Akteurinnen und Akteure engagieren sich gemeinsam mit Natur- und Umweltschützerinnen und Umweltschützer aus kirchlichen Kreisen und dem Kulturbund, sie haben Verbündete im Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz ILN, die ihnen Informationen weitergeben. Und "das sind eigentlich die aufregenden Geschichten, wo Kommunikation, gegenseitiges Vertrauen, Lust zu Aktivität, wo alles so zusammenkam".

Zitate, soweit nicht anders ausgewiesen, entstammen dem Interview mit Jörn Mothes am 30. Juli 2020. Interview mit Christian Halbrock am 03. August 2020

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Stand: 06.12.2021