Engagiert Euch, bringt Euch ein, nutzt Eure Rechte

Die Arbeitsgruppe Umwelt Leipzig

Die Arbeitsgruppe Umwelt (AGU) Leipzig gründet sich im November 1981 unter dem Dach des evangelischen Stadtjugendpfarramts Leipzig. Die Umweltakteurinnen und Umweltakteure wollen das alltägliche, individuelle Umwelthandeln fördern, über die Umweltsituation aufklären – und sie versuchen zu erreichen, dass Staat und Betriebe die Umweltgesetze einhalten.

Schon in ihrem Gründungsjahr bringt die Arbeitsgruppe Umwelt mit den Streiflichtern ein Informationsblatt im Samisdat heraus. Hier berichten Akteurinnen und Akteure von Umweltaktionen und geben Umwelttipps. Über rechtliche Hinweise, Adressen und Erfahrungsberichte wollen die Autorinnen und Autoren die Leserschaft motivieren, das Instrument der Eingabe zu nutzen. Die Arbeitsgruppe Umwelt sucht den Dialog mit staatlichen Stellen und Verantwortlichen und das so öffentlich wie möglich. Da die Diskussionen jedoch meist im geschlossenen Kreis stattfinden, sollen Gedächtnisprotokolle in den Streiflichtern den Leserinnen und Leser zumindest einen Einblick in die Gespräche geben. Die Autorinnen und Autoren nutzen das Blatt aber auch zur eigenen Informationsbeschaffung. So rufen sie im Frühjahr 1988 Leserinnen und Leser auf, ihnen Umweltprobleme zu nennen, um eine interne Datenbank anzulegen.

Bei all ihren Aktivitäten, von Eingaben bis Umweltveranstaltungen, setzt die Arbeitsgruppe Umwelt auf legale Mittel und Wege. Mitte der 1980er Jahre kommt es darüber zu internen Debatten. Mitglieder, die ökologische Verbesserungen enger mit politischen Reformen verknüpfen wollen und radikalere Protestformen notwendig finden, gründen 1987 schließlich die Initiativgruppe Leben (IGL). Trotz der Differenzen organisieren Mitglieder beider Gruppen 1988 und 1989 gemeinsam die Pleiße-Gedenkmärsche.

Die Arbeitsgruppe Umwelt ist gut vernetzt. Sie steht in Kontakt mit Friedensgruppen und anderen Umweltakteurinnen und Umweltakteuren, wie dem Christlichen Umweltseminar Rötha. Ein Forum für Austausch und Informationen bietet ab 1988 auch ihre in Leipzig eröffnete Umweltbibliothek. Im Herbst 1989 gründen Akteurinnen und Akteure der Arbeitsgruppe Umwelt zusammen mit Mitgliedern des Kulturbundes und der Kirche den Ökolöwen – Umweltbund Leipzig, der noch heute als Verein aktiv ist.

"Wir haben es gemacht, weil wir es wichtig und richtig fanden, nicht, weil wir den kurzfristigen Erfolg gesucht haben."

Gisela Kallenbach und Ralf Elsässer sind nahezu von Beginn an in der Arbeitsgruppe Umwelt Leipzig engagiert. Umweltschutz fängt für sie bei jedem ganz persönlich an. Weniger Chemie im Haushalt, das Bier nicht mehr unter laufendem Wasser kühlen. Probleme wahrnehmen, sich mit den Fakten auseinandersetzen und schauen, was sich praktisch machen lässt: "Heute würde man sagen, es waren Vorläufer von Bildung für nachhaltige Entwicklung", beschreibt Ralf Elsässer ihren Ansatz. Als Ingenieur interessiert er sich schon in den 1980er Jahren für ökologisches Bauen.

Zusammen mit Akteurinnen und Akteuren aus dem Kulturbund zählen sie die Bäume der Stadt. Mit anderen Mitgliedern der Umweltgruppe werben sie fürs Radfahren und organisieren für Leipzig die Veranstaltung Mobil ohne Auto rund um den Umwelttag der Vereinten Nationen am 5. Juni. Das Engagement mit ihrer Arbeitsgruppe für Eine Mark für Espenheim 1988 versteht sich fast von selbst. Zu greifbar und folgenschwer sind die Verschmutzungen, die von der dortigen Braunkohleschwefelei ausgehen.

"Die Umweltgesetzgebung der DDR war nicht die schlechteste im Vergleich im internationalen Maßstab, nur gab es eben tausende Ausnahmeregelungen, und sie wurde nicht eingehalten", so Gisela Kallenbach. Daher heißt für sie ein Mittel der Wahl: Eingaben schreiben und andere zu Eingaben ermutigen. Sie will "diesen Staat durch seine Institutionen zwingen, dass sie ihre Gesetze einhalten." Von illegalen Aktionen nimmt sie Abstand. Das Risiko will sie als Mutter von drei Kindern nicht eingehen. "Das war kreuzgefährlich." Auch mit dem Fotografieren ist sie bei ihren Aktionen zurückhaltend. Dennoch motiviert Gisela Kallenbach 1983 einen Kollegen, zusammen in ihrem Institut zum Weltumwelttag eine Wandzeitung zu gestalten. Mit Daten des Kirchlichen Forschungsheims Wittenberg vergleichen sie die Sonnenstunden von Leipzig und Rügen, thematisieren den Zustand der Gewässer, berichten über Abwassereinleitungen – und stellen die Frage, was die Gesellschaft und jeder Einzelne tun könnten. "Dann gab es einen großen Aufstand." Sie und ihr Kollege müssen Rede und Antwort stehen. Wie sie später aus ihren Stasi-Unterlagen erfährt, ist das der Beginn ihrer Operativen Personenkontrolle. Man wusste, dass so etwas passieren konnte, merkt sie heute an, doch "naiv wie ich war, war ich der Meinung, dass das mein gutes Recht ist und dass man mir nicht an den Kragen kann".

Dabei habe man den Umweltschutz nie isoliert gesehen, so Gisela Kallenbach, "weil es natürlich auch viel mit Gerechtigkeit und Frieden zu tun hat". Sie gestaltet daher auch Friedensgebete, Ralf Elsässer ist 1988/89 Vertreter der Umweltgruppen beim Netzwerk der Ökologie- und Menschenrechtsgruppen in der DDR Frieden konkret.

Was der größte Erfolg der DDR-Umweltbewegung gewesen sei? Dazu beigetragen zu haben, dass die friedliche Revolution gelingen konnte und Umwelt einen höheren Stellenwert habe, meint Gisela Kallenbach. Dass sie mit anderen Bewegungen zusammen Strukturen geschaffen habe, die eine gewaltfreie Revolution ermöglichten, sieht auch Ralf Elsässer als wichtig an. Doch der größte Erfolg der DDR-Umweltbewegung ist für ihn schlicht: "Dass es sie gab".

Alle Zitate entstammen den Interviews mit Gisela Kallenbach am 23. Juli 2020 und Ralf Elsässer am 29. Juli 2020. Das Zitat im Titel stammt von Gisela Kallenbach, das des Zwischentitels von Ralf Elsässer.

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Stand: 06.12.2021