Der Rückgang war rasant und schleierhaft

Arten retten, Vielfalt schützen

Die Natur zu schützen, postuliert die junge DDR als eine staatliche Aufgabe. Die Entwicklung der Wirtschaft erfordert zwar "die Inanspruchnahme der Naturkräfte und Bodenschätze und bedingt Eingriffe in den Haushalt der Natur", wie es im 1954 erlassenen Naturschutzgesetz heißt. Sie ist aber auch "vor unberechtigten und nicht notwendigen Eingriffen zu schützen, die Schönheit der Pflanzen- und Tierwelt zu erhalten und zu pflegen und der Wissenschaft die Möglichkeit der Forschung zu geben". Dem ehrenamtlichen Naturschutz, der im Kulturbund organisiert ist, wird dabei eine gewichtige Rolle zugewiesen. Ein weitverzweigtes Netz aus Laien und Fachleuten entsteht, die sich in verschiedenen Fachgruppen konkreten Aspekten des Naturschutzes widmen. Die Mitglieder schwärmen aus, kümmern sich um geschützte Gebiete und Arten, pflegen, kartieren, beobachten und kommentieren den Stand von Flora, Fauna und Flächen. Die ehrenamtlichen Naturschützerinnen und Naturschützer agieren innerhalb des Systems, viele nutzen ihr Engagement für die Natur als privaten Rückzugsraum. Gleichzeitig bilden sich im Naturschutz angesichts des steigenden Natur- und Umweltverbrauchs in der DDR auch die wachsenden Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich ab.

Der Kulturbund und die GNU

Der Kulturbund war eine Massenorganisation, unter dessen Dach sich wissenschaftliche und kulturelle Gruppen und Aktivitäten bündelten. Auch der Naturschutz sollte sich in den "demokratischen Zentralismus" einordnen und seinen Beitrag zum Aufbau des Sozialismus leisten. Die Naturschutzvereine wurden im Jahr 1950 im Kulturbund zwangsvereinigt und ihre ehrenamtlichen Aktivitäten in der "Zentralen Kommission für Natur- und Heimatfreunde" koordiniert. 1980 entstand daraus die "Gesellschaft für Natur und Umwelt", die bald darauf 60.000 Mitglieder verzeichnete.

"Rasanter Rückgang": Gift und Greifvögel

Vogelschutz ist ein klassisches Naturschutzthema. Auch im Kulturbund beschäftigen sich Arbeitsgruppen mit der Vogelwelt. Der Rückgang spezifischer Populationen ist Anlass für diverse Initiativen und Schutzprogramme. In den 1950er Jahren gründet sich unter dem Dach des Instituts für Landschaftsforschung und Naturschutz (ILN) der Arbeitskreis zum Schutz vom Aussterben bedrohter Tiere.

Die Mitglieder des Arbeitskreises sind Menschen, die sich schon länger um den Schutz einer speziellen Art – von Biber bis Uhu – bemüht haben. Viele von ihnen haben Biologie studiert, aber auch engagierte Laien sind dabei. Der Wanderfalke wird zum Paradebeispiel "für den plötzlichen Schwund einer relativ weit verbreiteten Art". 

Bau eines Entwässerungsgrabens 1967. Weitere Informationen siehe Bildunterschrift

Acker statt Feuchtgebiet – 1967 beginnen im Norden des Spreewaldes Meliorationsarbeiten, die aus 2.500 Hektar Luchwiesen Weiden und Anbauflächen machen sollen

Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz (ILN)

Das 1953 gegründete ILN mit Sitz in Halle war die zentrale wissenschaftliche Naturschutzeinrichtung der DDR. Als staatliches Forschungsinstitut und Beratungseinrichtung für alle Bereiche des Naturschutzes inklusive der Fragen von Planung und Gestaltung war es zudem eine wichtige Anlauf- und Koordinierungsstelle für den ehrenamtlichen Naturschutz.

"Der Rückgang war rasant und schleierhaft", so erinnert sich der Biologe Wolfgang Kirmse. Er ist der Spezialist für die baumbrütenden Wanderfalken, während sich Kurt und Gert Kleinstäuber um die felsbrütenden kümmert. Die Bruten bleiben zunehmend erfolglos – ein weltweites Phänomen. Ein britischer Ornithologe findet den Grund: der massenhafte Einsatz von DDT. Das Pestizid reichert sich am Ende der Nahrungskette an – bei Mensch und Tier. Als Vogel-und Fischfresser trifft es besonders die Greifvögel. Beim Wanderfalken bewirkt DDT neben anderen giftigen Chemikalien auch die Schädigung des Kalkstoffwechsels. Dünnschalige Eier zerbrechen bei der Bebrütung. Mit fatalen Folgen: 1973 gilt der Wanderfalke auf dem Gebiet der DDR als ausgestorben.

Auch die Quecksilberbeize, die Saatgut vor Pilzen schützen soll, hat tödliche Folgen für Greifvögel. Die Saat landet in den Mägen ihrer Beutetiere. Schließlich steht der Seeadler, der majestätische Vogel mit dem gelben Schnabel und bis zu 2,50 Meter weiten Schwingen, dadurch kurz vor dem Aussterben. Einwände gegen DDT-Einsatz oder Quecksilberbeize sind heikel und meist vergeblich. DDT, 1974 eigentlich international verboten, wird in der DDR zur Bekämpfung von Massenbefall der Wälder durch Raupen des Nonnenschmetterlings bis in die 1980er Jahren noch wiederholt ausgebracht. Immerhin setzt sich eine andere Form des konkreten Schutzes in den Staatsforsten durch: In den Brutrevieren bedrohter Vogelarten entstehen Horstschutzzonen mit Betretungsverbot in der Brutzeit. Durch den strikten Nestschutz und das Ende des DDT-Einsatzes erholen sich die Bestände von Seeadlern und anderen Greifvögeln ab den 1980er Jahren. Die Wanderfalken kehren erst durch Wiederansiedlungsprojekte ab den 1990er Jahren zurück.

Agrarflieger zur Schädlingsbekämpfung 1957. Weitere Informationen siehe Bildunterschrift

DDT wird in ganz Europa nach dem Zweiten Weltkrieg als Universalmittel großflächig gegen Schädlinge eingesetzt – und trifft am Ende Mensch und Tier. Ausbringung von DDT gegen Kiefernspanner, Arnstadt und Ilmenau, 1957

Brisante Pflanzenbetrachtung

Selbst die Beschäftigung mit Orchideen kann eine politische Dimension entwickeln. Botanisches Interesse wird gemeinhin als eine eher harmlose abseitige Freizeitbeschäftigung wahrgenommen. Aber die Mitglieder des in den 1960er Jahren im Kulturbund eingerichteten Zentralen Fachausschusses Botanik entwickeln sich zunehmend zu ehrenamtlichen Chronistinnen und Chronisten der negativen Auswirkungen der Agrarindustrialisierung. Sie dokumentieren den Zusammenhang zwischen Intensivierung der Landwirtschaft durch Trockenlegungen, Grünlandumbruch, Überdüngung, und dem Einsatz von Agrochemie.

In der Tschechoslowakei tagt 1970 eine internationale Konferenz der IUCN zu Florenschutz und Florenwandel. Von dort bringt der DDR Spezialist für Orchideen, Norbert Wiešniewski, die Idee der Roten Listen mit. Sie sollen nicht nur als Inventar bedrohter Arten, sondern auch als Weckruf dienen. Eine Aufbruchstimmung macht sich breit: Kann Botanik etwas in Bewegung setzen und auch auf politischer Ebene Veränderungen der Landnutzung anstoßen? Angeleitet von verschiedenen Universitätsinstituten erheben Arbeitsgemeinschaften ehrenamtlicher Botanikerinnen und Botaniker Daten zur Situation verschiedener Pflanzenarten und liefern die Grundlagen für Verbreitungskartenserien. Eine Übersicht über die "gefährdeten Pflanzengesellschaften der DDR", die unter dem Dach des Kulturbundes entsteht, stellt auch die 'sozialistische Intensivierung' in Frage. Die Schrift kann erst nach einer Zensurschleife in "kleiner Auflage, auf schlechtestem Papier (Toilettenpapier) 1985 erscheinen", so Michael Succow – und löst "viele Diskussionen" aus. Einer der beteiligten Wissenschaftler, Hannes Knapp, erinnert sich: "Wir wunderten uns, wie schnell man mit einer so harmlosen Beschäftigung wie Pflanzenbetrachtung in politische Bedrängnis geraten konnte."

Interview Wolfgang Kirmse am 21. Juli 2020.

Zitate Michael Succow und Hans Dieter Knapp in Behrens/Hoffmann (2013): Naturschutzgeschichte(n), S. 417, 235.

Natur- und Umweltengagement in der DDR

"Wir haben uns nicht versteckt"

Stand: 06.12.2021